Viele, die sich mit der Erklärung der Regeln des Analogieschlusses (Qiyâs) in Fragen der Aqîda-Lehren befassen, unterscheiden nicht zwischen den Arten des Qiyâs und den verschiedenen Kategorien der Aqîda-Fragen, da diese nicht alle auf derselben Ebene liegen. Stattdessen fällen manche ein allgemeines Urteil, das den Analogieschluss in Fragen der Aqîda vollständig untersagt, und führen Texte aus den Aussagen der frühen Muslime an, die den Analogieschluss in diesen Fragen ablehnen. In Wahrheit verhält es sich anders. Es ist unabdingbar, beim Formulieren einer Beurteilung zwischen zwei Sachverhalten zu unterscheiden: zwischen Fragen der Aqîda selbst und den Arten des Analogieschlusses (Qiyâs), damit klar wird, warum die frühen Gelehrten den Analogieschluss in Fragen der Aqîda ablehnten. Dies ist folgendermaßen zu verdeutlichen:
Mit Qiyâs ist hier der den Wissenschaftlern der Methodenlehre (Usûl Al-Fiqh) bekannte Analogieschluss gemeint. Dieser wird in verschiedene Arten unterteilt, die aber insgesamt auf zwei Haupttypen zurückzuführen sind: Qiyâs At-Tard und Qiyâs Al-Aks. Hier nun die Definition dazu und was davon bei Ableitungen in Aqîda-Themen geeignet ist und was nicht:
1. Analogieschluss der Ablehnung bzw. Extrapolation (Qiyâs At-Tard)
Dieser wird definiert als „Anwendung eines Urteils auf einen anderen Fall aufgrund eines beiden gemeinsamen Merkmals“. Dieses gemeinsame Merkmal kann entweder gleich oder ähnlich sein, was als Qiyâs At-Tamthîl bezeichnet wird. Ein Beispiel dafür ist folgender Analogieschluss: Da es verboten ist, das Vermögen eines Waisenkinds (unrechtmäßig) zu verzehren (d. h. an sich zu nehmen), darf man dieses Vermögen auch nicht verbrennen. Das gemeinsame Merkmal kann auch in einer übergeordneten Weise (d. h. in einem hierarchischen Verhältnis) bestehen. Dies wird als Qiyâs Al-Aulâ (Analogieschluss der Bevorzugung) bezeichnet. Ein Beispiel: Das Urteil über das Schlagen der Eltern wird abgeleitet aus dem (im Qurân wörtlich genannten; AdÜ) Verbot, ihnen bloß „Uff“ (als Unmutsäußerung) zu sagen (Demnach muss das Schlagen als schwerwiegender gelten, obwohl dort nicht eigens erwähnt; AdÜ).
Die Anwendung des Analogieschlusses nach der Form Qiyâs At-Tard in Fragen der Aqîda hat zu viel Verwirrung geführt. Dies ist auf unterschiedliche Arten und Stufen von Aqîda-Fragen zurückzuführen und darauf, dass es verschiedene Arten von Qiyâs gibt (Qiyâs At-Tamthîl oder Qiyâs Al-Aulâ). Darüber hinaus haben einige der frühen Gelehrten in ihren Aussagen Analogieschlüsse in der Aqîda verworfen. Dazu gehört Al-Qâdî Abû Yûsuf (gest. 182 n. H.): „Qiyâs gilt nicht für den Tauhîd (Bestätigung der Einzigkeit und Unvergleichlichkeit des Schöpfers; AdÜ).“ Imâm Ahmad (gest. 241 n. H.) sagte: „In der Sunna gibt es keinen Analogieschluss, und man zieht in diesem Bereich keine Vergleiche.“ Diese und weitere Aussagen wurden von einigen angeführt, ohne dass sie verstehen, was diese Imâme bezüglich des abzulehnenden Qiyâs meinten und wo dieser (fälschlicherweise) Anwendung findet. Um dies zu klären, muss man zuerst die Kategorien der Aqîda-Fragen kennen:
Diese sind:
1) Fragen nach Allâh: Dies sind Themen, die sich mit der Existenz Allâhs sowie Seinen Namen und Eigenschaften befassen. In diesem Bereich darf nur Qiyâs Al-Aulâ angewendet werden, da Allâh nicht gleich oder ähnlich zu anderen Geschöpfen ist. Vielmehr ist Er, der Erhabene, in Bezug auf die Eigenschaften der Vollkommenheit jedem Geschöpf überlegen. Daher ist es korrekt, Qiyâs Al-Aulâ in Seinem Fall anzuwenden (aber nicht Qiyâs At-Tamthîl oder Qiyâs As-Schumûl). Wenn also Allâh die Eigenschaft „Ilm“ (Wissen) hat (weil so im Qurân erwähnt; AdÜ), leiten wir daraus nicht die Eigenschaft „Marifa“ (Kenntnis als Eigenschaft von Geschöpfen; AdÜ) ab. Auch folgern wir nicht aus der Eigenschaft Hikma (in den Quellen bestätigt), dass er „Aql“ (Verstand im menschlichen Sinne; AdÜ) besäße.
Wer sich eingehend mit den Aussagen der frühen Gelehrten beschäftigt, merkt, dass sie lediglich den Analogieschluss Qiyâs At-Tamthîl abgelehnt haben und nicht Qiyâs Al-Aulâ. Ein Beispiel dafür ist das Wort von Imâm Ahmad, wenn er Qiyâs Al-Aulâ anwendet, um zu belegen, dass Allâh nicht mit Seinen Geschöpfen in Berührung kommt: „Und als Überlegung dazu: Wenn ein Mensch einen Kelch aus klarem Glas in der Hand hält, worin sich ein transparentes Getränk befindet, kann das Auge des Menschen den Becher umschließen und ihn erfassen, ohne, dass er selbst in diesem Becher ist. Allâh kommen nur die höchsten Eigenschaften und Gleichnisse (Al-Mathal Al-A‘lâ) zu, und daher umfasst Er Seine gesamte Schöpfung, ohne in ihr anwesend zu sein (d. h. in ihr zu inkarnieren). Eine weitere Eigenschaft ist Folgende: Wenn ein Mann ein Haus mit all seinen Einrichtungen baut, dann die Tür schließt und das Haus verlässt, wird es dem Menschen nicht verborgen bleiben, wie viele Räume in seinem Haus sind und wie groß jeder Raum ist, ohne dass sich der Hausbesitzer im Inneren des Hauses aufhält. Allâh gebühren nur der höchste Vergleich und die höchsten Eigenschaften (Al-Mathal Al-A‘lâ) und Er umfasst alle Seine Geschöpfe. Er weiß, wie sie sind und was sie sind, ohne in etwas von dem (anwesend) zu sein, das Er erschaffen hat.“
2) Themen des Verborgenen. Dies sind Angelegenheiten, über die uns Allâh als Scharîa-Geber informiert hat: wann sie in der Vergangenheit eingetreten sind oder in Zukunft eintreten werden. Dazu gehören alle Welten, die die Sinne nicht erfassen können, wie die Welt der Dschinn und Engel, ebenso das, was beim Tod geschieht und mit dem Jüngsten Tag zu tun hat. Diese Art von Aqîda-Fragen lässt keinen Typ von Analogieschluss zu − weder Qiyâs At-Tamthîl noch Qiyâs Al-Aulâ. So darf beispielsweise die Waage des Jüngsten Tages nicht mit einer Waage dieser Welt verglichen werden, und die Blätter (der Taten) im Jenseits nicht mit den Blättern und Seiten dieser Welt. Auch ist die Welt der Dschinn nicht mit der Welt der Engel und Ähnlichem zu vergleichen. Der Grund für dieses Verbot ist, dass ein Analogieschluss in diesem Fall den grundlegenden Regeln des Qiyâs widerspricht, und nicht etwa, weil es sich um Aqîda-Fragen handelt! Das Auffälligste daran ist, dass es sich um nicht begründete (oder nicht erklärbare) Fragen handelt.
3) Angelegenheiten mit Scharîa-Bezug: Das sind Angelegenheiten (in der Aqîda), die mit einer Verpflichtung und einer praxisbezogenen Aufforderung, sei es durch eine Handlung oder deren Unterlassung, verbunden sind. Dazu gehören das Bitten um Hilfe (anderer neben Allâh), Opfern (das nicht für andere neben Allâh geschehen darf; AdÜ), das Anrufen von Vermittlern und das Umrunden (im rituellen Sinne nur an der Ka‘ba zulässig; AdÜ) sowie andere Fragen. Diese Fragen unterscheiden sich nicht von anderen religiösen Praxisangelegenheiten, und in ihnen kann der Analogieschluss unter den bekannten Bedingungen und Regeln der Methodenlehre Anwendung finden. Was bei diesen Fragen verständlich ist, kann mit Qiyâs auf andere Fragen übertragen werden, da nicht alle Fragen der Aqîda solche darstellen, die sich lediglich auf Berichte (aus Qurân und Sunna über den Bereich des Übersinnlichen; AdÜ) stützen und deren (eigentliche) Bedeutung verborgen wäre. Ein Beispiel für die Anwendung des Analogieschlusses wäre hier die Frage der Segnungen durch rechtschaffene Menschen, deren Zulässigkeit umstritten ist. Wer diese Segenssuche als erlaubt einstuft, nimmt dies mittels eines Analogieschlusses vor und vergleicht dies mit der erlaubten Segenssuche beim Propheten Muhammad (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken). Er sieht das verbindende Element (beider Handlungen) darin, dass Rechtschaffenheit vorliegt: Ist eine Person rechtschaffen, so ist auch die Suche nach Segen durch ihn erlaubt. Wer diese Handlung als unerlaubt betrachtet, sieht die Ursache (als verbindendes Element) in der Prophetenschaft, und diese Eigenschaft liegt eben nicht bei anderen (gewöhnlichen) Menschen vor. Solche Gelehrte betrachten die Segenssuche als eine Besonderheit, die nur beim Propheten Muhammad (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) möglich ist.
2. Analogieschluss des Gegenteils (Qiyâs Al-Aks)
Dieser wird definiert als „Feststellung des gegenteiligen Urteils für eine andere Sache, da sie sich die Ursache beider Urteile (gegenteilig) unterscheiden.“ Eines der deutlichsten Beispiele hierfür ist das Wort des Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken): „Wenn jemand von euch die geschlechtliche Beziehung ausführt, ist dies für ihn eine Sadaqa (Spende).“ Da sagten sie: „Allâhs Gesandter, jemand von uns stillt seine Begierde und dafür erhält er eine Belohnung?“ Er sagte: „Was meint ihr, wenn er die geschlechtliche Beziehung auf verbotene Weise tätigen würde, wäre dies für ihn keine Sünde? Und so gibt es für ihn Lohn, wenn er dies auf erlaubte Weise praktiziert“ (Muslim). Der Prophet hat die geschlechtliche Beziehung mit einer fremden Frau zur Grundlage (des Vergleichs; Al-Asl) gemacht. Die Ursache (für das Verbot) liegt darin, dass es sich um eine verbotene Person (d. h. eine fremde Frau) handelt. Die geschlechtliche Beziehung mit der Ehefrau wird als analoge Ableitung (Al-Far) betrachtet und erhält daher die gegenteilige Beurteilung des Grundlegenden (Al-Asl): nämlich die Erlaubnis, da es sich um eine erlaubte Person handelt.
Es wird berichtet, dass Abdullâh ibn Masûd (möge Allâh mit ihm zufrieden sein) diesen Analogieschluss in der Aqîda angewendet hat. Darunter fällt seine Aussage: „Der Gesandte Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: ‚Wer stirbt und Allâh etwas beigesellt, betritt das Höllenfeuer.“ Und ich sage: ‚Wer stirbt, ohne Allâh etwas beizugesellen, wird ins Paradies eintreten‘“ (Al-Buchârî, Muslim).
Imâm As-Schâfiî hat die Frage, ob die Mu‘minûn ihren Herrn am Tag der Auferstehung sehen werden, bestätigt und stützt sich dabei auf den Analogieschluss des Gegenteils (Qiyâs Al-Aks). Er zitiert das Wort Allâhs „Keineswegs! Sie werden von ihrem Herrn an jenem Tag bestimmt abgeschirmt sein“ (Sûra 83:15). Dazu sagt er: „Die Übeltäter sind davon nur ausgeschlossen, weil die Rechschaffenen Ihn, den Erhabenen, sehen werden.“
Hieraus wird deutlich, dass es bei den Fragen der Aqîda solche gibt, in die niemals der Analogieschluss einbezogen werden darf, und solche, bei denen Qiyâs Al-Aulâ (Analogieschluss des Vorrangs), aber nicht Qiyâs At-Tamthîl (Analogieschluss der Gleichheit) angewendet wird. Außerdem gibt es solche Bereiche, die sowohl durch Qiyâs At-Tamthîl als auch Qiyâs Al-Aulâ und Qiyâs Al-Aks (Analogieschluss des Gegenteils) belegt werden können.