Darf der Sohn ohne Einwilligung des Vaters verreisen, um sein Studium fortzusetzen?

20-5-2010 | IslamWeb

Frage:

Meine Geschichte sieht folgendermaßen aus:
Ich bin jemand, der nach Wissen strebt und die Computerschule mit dem Prädikat "sehr gut" abgeschlossen hat. Ich bin sehr darin bemüht mein Studium fortzusetzen, stehe jedoch vor vielen Hindernissen, darunter folgenden:
Meine Familie ermuntert mich nicht dazu, mein Studium fortzusetzen. Mein Vater behandelt mich oft sehr hart und gefühllos, und zwar schon seit meinem 13. Lebensjahr so. (Ich bin jetzt 25 Jahre alt). Ich habe ihm schon offen gesagt, dass ich meine finanzielle Lage ändern und mich weiterbilden möchte, indem ich mein Studium fortsetze. Deshalb werde ich das Geld von der Arbeit sparen und das Studium im Ausland fortführen.
Ich wurde aber von meinem Vater überrascht, als er immer wieder mal Geld von mir forderte. So gab ich ihm natürlich das Geld, da er ja mein Vater ist. Dies machte ich mit der Hoffnung, dass er mich unterstützen werde, wenn ich sage, dass ich im Ausland weiterlernen werde. So wollte ich also das Geld aus der Arbeit ansparen, jedoch fragte mich mein Vater immer, wie viel Geld ich auf der Bank habe. Er sagte mir: „Heb dein ganzes Geld vom Konto ab!“
Er fordert dies, obwohl er ein gutes Einkommen hat. Meine Mutter arbeitet in einer Schule als Putzhilfe. Ihren Lohn nimmt sich mein Vater auch für sich und er gibt ihr nur selten etwas davon. Wir haben einen Acker, der nahe vom Haus liegt und auf dem ich, mein Vater und meine Geschwister arbeiten. Ich leide an einigen Allergien, was meinem Vater aber auch egal ist. Seine einzige Sorge ist die Arbeit.
In letzter Zeit hat sich meine Lage hinsichtlich der Allergien zugespitzt, sodass ich mich kostspieligen Behandlungen in speziellen Kliniken unterwerfen muss. Mir fehlt leider das nötige Geld dazu und mein Vater weiß dies, schenkt dem aber keine Beachtung. Sein schlechtes Verhalten hat sich auch auf meine größeren und kleineren Geschwister ausgewirkt, so kümmert sich jeder nur um sich selbst und fragt nicht nach seinem Bruder. Ich bitte Allâh immer im Gebet, dass Er die Familie wieder vereint, da die jetzige Lage sehr traurig ist.
Das Verhältnis unter den Geschwistern ist sehr kalt, was auf meinen Vater zurückzuführen ist. Wenn jemand von meinen Geschwistern meinen Vater um Geld bittet (selbst meine kleineren Geschwister), fängt er an im Haus zu schreien und sagt, er habe kein Geld, obwohl er einen guten Lohn erhält. Nach der Rente arbeitet er nun als Taxifahrer, was bedeutet, dass er noch extra Geld neben der Rente und dem Einkommen meiner Mutter kassiert. Er hat sogar vier Autos. Mein Vater ist nicht ungebildet oder dumm, jedoch hat er halt nun mal seine eigene Art.
Zusammenfassung meiner Geschichte:
Ich möchte folgende Dinge in der Zukunft tun:
- Mein Studium fortsetzen.
- Heiraten um meine Keuschheit zu bewahren und eine islâmische Familie zu gründen. Ich überlege auszuwandern, damit ich keinen Kredit von der Bank nehmen muss, der mit Zinsen verbunden ist, was ja auch harâm ist. Ich erwähne dies, weil mein Vater mir in letzter Zeit sagt, ich solle einen Kredit von der Bank nehmen, was ich aber nicht will. So möchte ich mich auf mich selbst verlassen, das Studium fortsetzen und gleichzeitig arbeiten. Ich möchte dann meiner Familie helfen, indem ich ihnen gelegentlich etwas Geld zuschicke.
Ich weiß, dass es verboten ist, ohne Erlaubnis der Eltern zu verreisen, jedoch habe ich euch bereits meine Lage geschildert.
Ich bitte euch um eine Lösung meines Problems.


Antwort:

Der Lobpreis ist Allâhs! Möge Allâh Seinen Gesandten in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken!

 

Wir haben die Antwort in mehrere Punkte eingeteilt:

 

- Was sagt der Islâm dazu, dass der Vater das Geld des Sohnes nimmt?

Der Sohn soll seinen Vater mit seinem Geld unterstützen und für ihn finanziell aufkommen, wenn der Vater diese Hilfe benötigt. Der Vater darf von dem Geld des Jungen nehmen, wenn er es dringend braucht und dadurch der Sohn keinen Schaden erleidet.

 

So berichtet ´Amr ibn Schu´aib von seinem Vater, der von seinem Vater Folgendes hörte:

„Ein Beduine kam zum Propheten  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken und sagte: «Mein Vater will mein Geld an sich reißen.» Da entgegnete der Prophet, möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken: «Du und dein Geld gehören deinem Vater. Das Beste, was ihr verzehren könnt, ist das, was ihr erworben habt, und euer Vermögen und eure Kinder sind aus eurem Erworbenen, so verzehrt es wohlbekömmlich!»“

 

Der Sohn darf seinem Vater kein Geld geben, wenn dadurch Schaden für ihn entsteht oder der Vater dieses Geld verschwenderisch ausgibt, damit er seinen Vater nicht unterstützt, etwas Verbotenes damit zu machen. So sagte der Prophet  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken : „Man darf sich selber nicht schaden und auch nicht anderen.“ Überliefert von Imâm Mâlik und Anderen.

 

Wenn wir der Meinung folgen, dass der Vater den notwendigen Betrag vom Sohn zu sich nehmen darf (dieser Meinung folgen einige Gelehrte), so muss der Sohn dem Vater das Geld in dem Maße geben,, wie es der Vater benötigt; den Rest braucht er ihm nicht auszuhändigen.

 

- Der Ehemann darf nichts vom Geld der Frau nehmen (ihren Lohn), außer wenn die Frau ihm etwas freiwillig schenkt. Der Mann muss für die Familie finanziell aufkommen und nicht die Frau.

 

- Es ist dem Sohn erlaubt, ohne Erlaubnis des Vaters zu verreisen, wenn er dies tut um zu arbeiten oder zu lernen und er dabei keine Gefahr oder Verderben zu befürchten hat (hinsichtlich Reise, Arbeit und Aufenthalt im Ausland) und nicht fürchten muss, dass der Vater untergehen wird, wenn er ihn alleine lässt. Ist dies alles nicht zu befürchten, so darf er ohne Einwilligung des Vaters verreisen, selbst wenn der Vater ihn davon abhalten will.

 

Dazu sagt Imâm As-Sarchasî, der der hanafitischen Rechtsschule folgt:

 

„ Wenn der Mann mit der Reise einen Handel anstrebt oder den Haddsch und die ´Umra (jedoch nicht den Dschihâd), und die Eltern dies missbilligen und er nicht den finanziellen Niedergang der Eltern befürchtet, so ist ihm diese Reise erlaubt. Dies, weil man auf jenen Reisen meistens keine Gefahr zu befürchten hat. Er darf auch verreisen, solange er nicht fürchtet, dass die Eltern dadurch Mühsal erfahren (Die Traurigkeit der Eltern wird bald verschwinden, da sie sich nach der Rückkehr des Sohnes sehnen) und es keine gefährliche Reise ist, wie z.B. mit dem Schiff. In diesem Fall zählt diese Reise wie das Hinausziehen zum Dschihâd, da die Gefahr des Todes offensichtlich ist. Wenn er mit der Absicht verreisen möchte weiterzulernen und der beabsichtigte Weg als sicher gilt, so ist diese Reise nicht geringer zu schätzen als die Reise wegen eines Handels, und zwar gemäß dem Vers:

 

„Es steht den Gläubigen nicht zu, allesamt auszurücken. Wenn doch von jeder Gruppe von ihnen ein Teil ausrücken würde, um von der Religion zu erlernen und um ihre Leute zu warnen, wenn sie zu ihnen zurückkehren, so dass sie sich vorsehen mögen.“ (Sûra 9:122)

 

So darf er in dieses Land reisen, auch wenn es die Eltern missbilligen und er nicht den Untergang für sie beide befürchtet.

 

Wenn er auf Grund eines Handels verreist und auf dem Weg ein Land oder einen Ort passiert, in dem Feinde der Muslime sind (und es ein Abkommen mit den Muslimen gibt), die Gegner aber dafür bekannt sind, dass sie sich an die Abmachungen (mit den Muslimen) halten, so darf er auch verreisen, selbst wenn es die Eltern nicht möchten, da es dann so zählt, als verreise er in ein islâmisches Land.“

 

- Der Sohn darf seinem Vater nicht darin gehorchen, einen Kredit mit Zinsen von der Bank zu nehmen. Es gilt die Regel, dass man niemandem gehorchen darf, wenn dieser zu einer verbotenen Sache aufruft.

 

Gemäß dem Erwähnten soll der Sohn sich für das entscheiden, was gut für ihn ist. (Für seinen Glauben und seine weltlichen Angelegenheiten)

 

Und Allah weiß es am besten.

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