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Enthaltsamkeit und Kultivierung der Erde – Teil 1

Enthaltsamkeit und Kultivierung der Erde – Teil 1

Ein Blick in verschiedene islâmische Texte offenbart sowohl die Aufforderung zur Enthaltsamkeit und Genügsamkeit im weltlichen Leben als auch die Betonung der Verantwortung des Menschen für diese Welt und die Aufgabe des Muslims bei der Bebauung der Erde. Letzteres stützen sich auf Verse, die folgende Themen behandeln: Dienstbarmachen der Schöpfung für den Menschen, Erlaubnis zur Nutzung der Güter der Erde und die Dankbarkeit für die vielen Gaben, die Allâh den Menschen gewährt hat. Viele Verse erinnern uns an diese Inhalte. Stehen diese Texte im Widerspruch zueinander, oder liegt das Missverständnis im Verständnis mancher Menschen begründet?

Versteht man sie und ihre Ziele unter Berücksichtigung ihres Kontextes, so verschwindet jede Verwirrung und der Sinn wird klar. Dies gilt für alle islâmischen Rechtstexte, da ihre Quelle die göttliche Offenbarung ist. Je besser die Werkzeuge für ein richtiges Verständnis sind, desto weniger Unklarheiten gibt es und desto größer ist die Eindeutigkeit: „Denken sie denn nicht sorgfältig über den Qurân nach? Wenn er von jemand anderem wäre als von Allâh, würden sie in ihm wahrlich viel Widerspruch finden“ (Sûra 4:82).

 

Bedeutung von Zuhd (Enthaltsamkeit):

Zwei Richtungen lassen sich bei den Ausführungen der Gelehrten unterscheiden:

a) Zuhd als Tat des Herzens: Diese Richtung definiert Zuhd als die Geringschätzung der Welt und das Auslöschen ihrer Spuren aus dem Herzen. Es ist die Abkehr des Herzens von der Welt ohne Zwang. Ibn Al-Qayyim sagt in „Madâridsch As-Sâlikîn“: „Die Wissenden sind sich einig: Zuhd ist die Reise des Herzens aus dem Heimatland der Dunyâ und sein Einzug in die Wohnstätten des Jenseits.“ Weitere Definitionen drehen sich um diese Bedeutung und lassen verstehen, dass Zuhd ein Zustand des Herzens ist, in dem der Diener sein Herz nicht an die Welt bindet. Es ist ihm nicht verwehrt, weltlichen Besitz zu haben, solange sein Herz nicht davon besessen ist.

b) Zuhd als Verzicht auf das, was im Jenseits nicht von Nutzen ist: Diese Richtung versteht Zuhd als körperlichen Verzicht. Demnach ist man erst dann wirklich enthaltsam, wenn man der Welt entsagt und sich auf das beschränkt, was man zum Leben braucht. Dies widerspricht dem prophetischen Weg, der zwar zur Genügsamkeit ermutigt, nicht aber zur völligen Abkehr von der Welt.

Gehört diese Sichtweise wirklich zum wahren Verständnis der Askese? Al-Ghazâlî und Ibn Al-Dschauzî zwei herausragende Gelehrte, verneinen dies in ihren Werken. Ibn Qudâma Al-Maqdisî fasst ihre Kritik wie folgt zusammen: „Viele Menschen übernehmen eine Haltung der völligen Geringschätzung der Welt und sind überzeugt, dass sich diese Verachtung auf alles beziehe, was zum Nutzen des Menschen erschaffen wurde. Deshalb lehnen sie nahrhafte Speisen und Getränke ab. Allâh hat den Menschen so erschaffen, dass er nach dem verlangt, was gut für ihn ist. Wann immer dieses Verlangen aufkommt, unterdrücken sie es in der Überzeugung, dies sei die gewünschte Enthaltsamkeit, während sie in Unwissenheit über die (zu erfüllenden) Rechte der (eigenen) Seele sind. So verhalten sich die meisten Asketen. Doch tun sie dies nur aus Unwissenheit.“

Das vorbildlichste Verständnis der Lehre finden wir bei den Propheten, allen voran bei unserem Propheten Muhammad (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken), und seinen rechtschaffenen Gefährten. Sie alle haben den Islâm so gelebt und gelehrt, wie Allâh es gewollt hat. Dâwûd und Sulaimân (Frieden sei mit ihnen), obwohl Könige und Propheten, waren bekannt für ihre Enthaltsamkeit. Unser Prophet Muhammad (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) selbst, der neun Ehefrauen hatte, ermutigte seine Umma zum Arbeiten und Verdienen, warnte jedoch gleichzeitig vor übermäßiger Liebe zur Welt und Hochmut. Auch seine Gefährten (möge Allâh mit ihm zufrieden sein), wie Uthmân, Alî und Abdurrahmân ibn Auf, waren trotz ihres Reichtums Muster an Bescheidenheit und Enthaltsamkeit.

Diese Bedeutung wird durch den Vers unterstrichen, der den Handel während des Haddsch erlaubt: „Es ist keine Sünde für euch, dass ihr nach Huld von eurem Herrn trachtet. Doch wenn ihr von Arafât hergeströmt seid, dann gedenkt Allâhs bei der geschützten Kultstätte“ (Sûra 2:198). Dieser Vers erlaubt Pilgern, während des Haddsch Handel zu treiben und beides zu verbinden, was zeigt, dass es keinen Widerspruch zwischen dem Verdienen des Lebensunterhalts und der Anbetung gibt.

Die Vollkommenheit der Gefährten (möge Allâh mit ihnen zufrieden sein) lag in der Verwirklichung dieses Verständnisses. Sie waren ihre eigenen Herren, sie bebauten Land, handelten und reisten durch die Welt, um nach Allâhs Gunst zu streben. In ihrem Verständnis des Islâm blieben sie stets sachlich und realistisch. Dies half ihnen, standhaft, beharrlich und kreativ zu bleiben und eine einzigartige Zivilisation aufzubauen. Im „Sahîh Al-Buchârî“ wird von Umar (möge Allâh mit ihm zufrieden sein) berichtet, wie er sich abwechselnd einen Tag dem Wissen widmete und am nächsten Tag dem Broterwerb nachging: „Ich und ein Nachbar von mir von den Ansâr, der zu den Banû Umayya ibn Zaid gehörte, die im Awâlî-Bezirk von Medina wohnen, wechselten uns ab, um zum Gesandten Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) zu gehen. Einer von uns ging an einem Tag, und der andere am nächsten Tag. Wenn ich ging, brachte ich meinem Nachbarn die Neuigkeiten des Tages über die Offenbarung und andere Dinge, und wenn er ging, tat er dasselbe. Eines Tages, als mein Nachbar an der Reihe war, klopfte er heftig an meine Tür und fragte: ‚Ist Umar da?‘ Ich erschrak und ging zu ihm hinaus. Er sagte: ‚Es ist etwas Schreckliches passiert.‘ Ich ging zu Hafsa hinein und fand sie weinend vor. Ich fragte: ‚Hat der Gesandte Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) euch geschieden?‘ Sie sagte: ‚Ich weiß es nicht.‘ Dann ging ich zum Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) und fragte, während ich stand: ‚Hast du deine Frauen geschieden?‘ Er sagte: ‚Nein.‘ Ich sagte: ‚Allâh ist größer!‘“

Für die ersten Muslime war Zuhd nicht bloßer Verzicht auf Reichtum, sondern vielmehr die ehrenvolle Verwendung von Vermögen im Dienste Allâhs. Dies verstand auch Abû Bakr (möge Allâh mit ihm zufrieden sein), der nach dem Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) in Wissen und Handeln führend war. Als wohlhabender Kaufmann widmete er sein Vermögen ganz und gar der Sache Allâhs. Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) war dankbar für Abû Bakrs Vermögen und lobte ihn mit den Worten: „Kein Vermögen hat mir so sehr genutzt wie das Vermögen von Abû Bakr.“ Daraufhin weinte Abû Bakr und sagte: „Gesandter Allâhs! Ich und mein Vermögen sind nur für dich da!“ (Ibn Hibbân in seinem „Sahîh“). Ein Beispiel für seine Enthaltsamkeit ist, dass er sein gesamtes Vermögen auf einmal ausgab. Zaid ibn Aslam berichtet von seinem Vater, dass er Umar ibn Al-Chattâb (möge Allâh mit ihm zufrieden sein) sagen hörte: „Der Gesandte Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) befahl uns, wohltätig zu spenden. Dies fiel mit einem Vermögen zusammen, das ich besaß. Ich sagte: ‚Heute werde ich Abû Bakr übertreffen, wenn ich ihn jemals übertreffen kann.‘ Ich brachte die Hälfte meines Vermögens, und der Gesandte Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) fragte mich: ‚Was hast du für deine Familie zurückbehalten?‘ Ich sagte: ‚Genauso viel.‘ Abû Bakr kam mit allem, was er besaß, und der Gesandte Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) fragte: ‚Abû Bakr, was hast du für deine Familie zurückbehalten?‘ Er sagte: ‚Ich habe Allâh und Seinen Gesandten für sie zurückbehalten. Ich sagte: ‚Bei Allâh, ich werde ihn in nichts übertreffen!‘“

Abû Dharr sagte: „Enthaltsamkeit bedeutet nicht, das Erlaubte zu verbieten oder Wohlstand zu verlieren. Enthaltsamkeit heißt, sich nicht auf das noch mehr zu verlassen, was in deiner Hand ist, als in das, was in Allâhs Hand ist. Vielmehr heißt es, sich nicht mehr auf das Irdische zu verlassen als auf Allâh. Wahre Enthaltsamkeit zeigt sich auch darin, dass man den Lohn für eine Prüfung höher schätzt, wenn sie einen trifft, als wenn sie einem erspart geblieben wäre“ (At-Tabarânî in „Al-Ausat“).

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